Unter “Erster Hilfe” versteht man lebensrettende und gesundheitserhaltende Sofortmaßnahmen, die einfach erlernt und bei medizinischen Notfällen, etwa bei Atem- oder Kreislaufstillstand oder Blutungen, angewendet werden können.
Die Geschichte der Ersten Hilfe hat einen engen Bezug zum Militär. Als Henry Dunant die grausamen Auswirkungen der Schlacht von Solferino (1859) miterleben musste war das Anlass zur Gründung des Roten Kreuzes. Der preußische Militärarzt Friedrich von Esmarch war 1870 der erste Ausbilder, der in Vorlesungen und Schriften verschiedene Techniken lehrte (z.B. Esmarchscher Handgriff zum Freimachen der Atemwege). Als 1885 die ersten Berufsgenossenschaften in Deutschland gegründet wurden kamen die ersten Vorschriften zur Unfallverhütung und Prävention heraus.
Seit dem 01.08.2014 wird in der DGUV Vorschrift 1 Grundsätze der Prävention im Dritten Abschnitt § 24 bis § 28 die Erste Hilfe in Betrieben geregelt.
Welche Notfälle dominieren heute den Arbeitsalltag?
Schnittverletzungen, Quetschverletzungen, Prellungen und kleinere Frakturen gehören zum Arbeitsalltag und stellen keine lebensbedrohliche Situation dar. Sie können ohne Zeitdruck einer weiteren Versorgung zugeführt werden. Außer der Blutstillung bei der Schnittverletzung bedürfen diese Verletzungen in der Regel keiner unmittelbaren Ersten Hilfe. Der Rettungsdienst ist innerhalb kürzester Zeit (>90 % innerhalb 10 — 15 min) vor Ort, wenn er benötigt wird.
Augenverletzungen kommt eine besondere Bedeutung zu, da bei langfristiger Schädigung ein erheblicher Verlust an Lebensqualität droht. Festsitzende Fremdkörper im Auge sollten möglichst schnell durch einen Augenarzt entfernt werden. Bei chemischen Verletzungen wie Säure oder Lauge ist eine schnellstmögliche Spülung über mindestens 15 min erforderlich, um eine Schädigung zu verhindern oder mindestens zu vermindern. Aufgrund dieser Forderung erkennt man schnell, dass häufig noch verwendete Augenspülstationen mit 250 ml Flüssigkeit völlig insuffizient sind und immer eine Augenspülstation mit einem Trinkwasseranschluss zu empfehlen ist.
Stromunfällen kommt nochmal eine ganz besondere Bedeutung zu, da sie je nach Stromfluss im Körper von harmlos bis tödlich verlaufen können. Im Vordergrund steht die Sicherung der Unfallstelle (“stromfrei”) und die gegebenenfalls erforderliche Reanimation bei Kammerflimmern. In sehr schweren Fällen kommt es auch zu massiven Brandverletzungen.
Verletzungen eines großen arteriellen Extremitätengefäßes, Kammerflimmern bei Herzerkrankungen und großflächige Ganzkörperverbrennungen sind lebendsbedrohliche Situationen und bedürfen einer unmittelbaren Intervention. Wenn manueller Druck auf die Wunde, ein Woundpacking oder ein Druckverband die Blutung nicht stillen müssen Spritzblutungen an großen Extremitätenarterien mit großem Blutverlust schnellstmöglich mit einem Torniquet versorgt werden, da die Erythrozyten als Sauerstoffträger durch nichts vor Ort ersetzt werden können, um eine Sauerstoffunterversorgung im Gewebe zu verhindern. Blut auf der Straße bringt Not für den Patienten. Bei Kammerflimmern fällt die Pumpe aus und auch hier kommt dann der Sauerstoff nicht dorthin, wo er gebraucht wird. Eine Thoraxkompression ist unmittelbar nach Feststellung des Atem- und Kreislaufstillstandes durchzuführen. Dabei wird bei der Laienreanimation auf die Beatmung verzichtet. Bei großflächigen Verbrennungen gilt es, die Auskühlung (Hypothermie) zu verhindern. Dazu verwendet man sterile, trockene und nicht haftende Verbandtücher (Aluderm) zum lokalen Abdecken und eine Isolierfolie für den Wärmeerhalt. Jeder bewusstlose Patient, der noch atmet und einen Kreislauf hat, wird in die stabile Seitenlage verbracht, um eine Aspiration beim Erbrechen zu verhindern.
Wie sieht der Versorgungsweg aus?
In Deutschland ist die medizinische Rettung im Rettungsdienstgesetz von 1992 verankert. Es wird vorgeschrieben, dass im Rettungsdienst die Dichte des Netzes ein Erreichen der Unfallorte mit einem Rettungsmittel in 96 % der Fälle innerhalb von 10 min möglich macht. Innerhalb dieser Zeit kommt es aber beim Verletzten mit Herzstillstand oder massiver Blutung zu irreversiblen Schäden im Gehirn. Deshalb ist eine gute Erste Hilfe durch den Laien essentiell für ein gutes Outcome des Patienten.
Was sollte an Hilfsmitteln im Betrieb vorhanden sein?
Logischerweise macht es Sinn, die Hilfsmittel vor Ort zu haben, die dabei helfen, eine Lebensbedrohung abzuwenden beziehungsweise zu mindern. Die drei wesentlichsten Notfälle mit Lebensbedrohung sind:
- Herzstillstand mit Kammerflimmern infolge einer schweren Herzerkrankung
- schwere Blutung — kontrollierbar oder nicht kontrollierbar
- Ganzkörperverbrennung 3. Grades mit mehr als 20 % Körperoberfläche
Ein AED (automatischer externer Defibrillator) ist einfach zu bedienen. Er gibt Anweisungen, was zu tun ist und löst nur aus, wenn ein defillierbarer Rhythmus vorliegt. Im Erfolgsfall setzt der Sinusrhythmus schnell wieder ein und stellt eine effektive Pumpleistung des Herzens sicher.
Eine arterielle Blutung, die durch Druck auf die Wunde nicht gestillt werden kann bedarf einer Behandlung mit einem Tourniquet. Bei Extremitätenblutungen spricht man von einer kontrollierbaren Blutung. Hat ein Trauma eine innere Verletzung verursacht spricht man von einer unkontrollierbaren Blutung. In Kammern wie dem Brustraum, dem Bauchraum, dem Beckenbereich oder den beiden Oberschenkel verschwinden bei einer innernen Blutung im entsprechenden Bereich mehr als 2000 ml Blut, was einen schweren Blutungsschock auslöst.
Blutungen in Brust- und Bauchraum kann man nicht beeinflussen. Den Raum im Beckenbereich kann man jedoch mit einer Beckenschlinge deutlich verringern und somit eine unkontrollierbare Blutung minimieren.
Thermische Verletzungen mit über 20 % Körperoberfläche heben die Hautfunktion in diesem Bereich auf. Die größte Bedrohung stellt die Hypothermie (Auskühlung) dar, was unter anderem die Blutgerinnung stark beeinflusst. Daher ist das unter allen Umständen zu vermeiden. Mit sterilen Abdeckfolien (Aluderm) oder einer Ganzkörperfolie kann man dem vorbeugen.
Für kleinere Verletzungen haben natürlich die Verbandkästen weiterhin ihre Daseinsberechtigung.
Was wird heute in der Ersthelferausbildung gelehrt?
Die BGHM als Vertreter der Berufsgenossenschaften formuliert ihre Vorstellungen auf ihrer Website:
BGHM: Ersthelferausbildung
Ziele
Nach Abschluss des Seminares soll der Laie befähigt sein, die Durchführung lebensrettender Maßnahmen zu vermitteln. Anhand bestimmter äußerer Erscheinungsbilder oder leicht feststellbarer Symptome, wie Blutungen, Atemstillstand, Blutkreislaufstillstand, Bewusstlosigkeit, soll er die Gefahr für Gesundheit und Leben der Verletzten oder Patienten erkennen und ihr sicher begegnen können.
Inhalte
Die Lehrinhalte basieren auf Vorgaben, die zwischen den Berufsgenossenschaften und Rettungsorganisationen abgestimmt wurden, z. B.
- Verhalten beim Auffinden einer Person
- Beachten der eigenen Sicherheit
- Absetzen des Notrufs
- Sichern der Unfallstelle
- Retten aus akuter Gefahr
- Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Verletzung oder Krankheit mit Störung der Lebensfunktion
Dauer
- Ausbildung: 9 Std.
- Fortbildung: 9 Std.
Was kann man besser machen, um effektiver zu werden?
Wenn ich als Laie effektiv Erste Hilfe leisten will, dann muss ich meine Basics kennen und können. Als Laie habe ich kein medizinisches Grundwissen und alles was ich an zuviel unötiger medizinischer Information bekomme macht unsicher und ist daher ein Hindernis. Die Ausbildung muss zielgerichtet und überwiegend praktisch orientiert sein. Mit Theorie rette ich kein Leben. Die Erfahrung zeigt, dass in den Kursen die Theorie zeitlich überwiegt und die Praxis nur ungenügend Platz findet. Häufig sind die Kurse überbelegt. Bei mehr als 10 Teilnehmern verliert der Ausbilder den Überblick. Nach den neuen Leitlinien der AHA (American Heart Association) von 2020 wird bei der Laienreanimation nur noch die Thoraxkompression durchgeführt. Kriterien einer qualitativ hochwertigen Thoraxkompression sind:
- Kompressionsfrequenz: 100 — 120/min
- Kompressionstiefe: 4 — 5 cm
- vollständige Entlastung nach Kompression
- Kompressionspausen: < 10 sec
- Wechsel der Helfer: alle 2 min
Um das als Laie so hinzubekommen muss ich es immer wieder üben — ich muss es automatisieren. Die Beatmung ist schwierig und durch den Laien nicht effektiv durchzuführen. Weiterhin muss man dabei mit der Thoraxkompression aussetzen. Folge davon ist ein Druckabfall im Kreislauf, der wiederum zur Minderdurchblutung des Gehirns führt. Das ist noch nicht bei allen Rettungsorganisationen angekommen.
Bei stark artriell blutenden Wunden an den Extremitäten und auch bei unkontrollierter Blutung ins Becken kann ich als Laie gut helfen. Mit der Anlage eines Tourniquets stille ich eine Extremitätenblutung. Die Beckenschlinge verkleinert den Beckenraum und verhindert damit eine größere Blutung im Beckenbereich.
Bei Verbrennungsverletzungen mit größerem Ausmaß kann ich durch eine Isolierfolie den Wärmeerhalt fördern.
Was wünsche ich mir für die Zukunft?
Aus meiner nun fast 40-jährigen Erfahrung in der Notfallmedizin und 25 Jahre Arbeitsmedizin kann ich nur empfehlen, die Ersthelferausbildung praktischer zu gestalten und auf lebensbedrohliche Zustände zu fixieren. Die dazu notwendigen Basics sollten intensiv geübt werden, damit ein Automatismus entsteht. Dass die eigene Sicherheit an erster Stelle steht muss nicht diskutiert werden. 9 Stunden am Stück sind zu lang. Ich würde die Zeit auf maximal die Hälfte reduzieren, die Wiederholungsintervalle kürzer machen und die Ausbildungsinhalte klar definieren und festschreiben sowie immer an die aktuell gültigen Leitlinien kurzfristig anpassen. Somit wird über alle Organisationen hinweg ein gleicher Standard generiert. In größeren Betrieben (ab 20 Mitarbeiter) würde ich Inhouse-Veranstaltungen machen. Wünschenswert wäre es, allen Mitarbeitern eine Ausbildung zukommen zu lassen. Wenn ein Mensch einen Herzstillstand erleidet fängt die Uhr an zu ticken. Und mit jeder Minute wird die Wahrscheinlichkeit um 10 % geringer, dass er ein Outcome mit voller gesundheitlicher Wiederherstellung hat. Wenn ich in so einem Fall noch lange nach einem Ersthelfer suche und als Nebenstehender nicht unmittelbar mit der Thoraxkompression beginne hat der Betroffene kaum eine Chance. In den nordischen Ländern gibt es zu diesem Thema keine zwei Meinungen. Die überwiegende Zahl der Bevölkerung ist fit in der qualitativ hochwertigen Thoraxkompression und kann mit dem AED umgehen. In Deutschland haben wir die größte Chance, das über die betriebliche Ausbildung umzusetzen, um ähnliche Zahlen wie im Norden zu erreichen.
Mein Fazit ist, dass die Ersthelferausbildung in Deutschland nicht mehr zeitgemäß ist und sowohl inhaltlich als auch organisatorisch überdacht werden muss.