von Dr. med. Klaus Merle 

Aktivtraining – Prävention für das Muskelskelettsystem

Februar 13, 2023 in Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz

Gesun­de Mit­ar­bei­ter sind eine wich­ti­ge Res­sour­ce für den Erfolg eines Unter­neh­mens. Durch das GKV-Wett­be­werbs­stär­kungs­ge­set­zes vom 1. April 2007 sind die bis­he­ri­gen Kann-Leis­tun­gen der Kran­ken­kas­sen zur betrieb­li­chen Gesund­heits­för­de­rung (BGF) Pflicht­leis­tun­gen gewor­den (§ 20b SGB V), das bedeu­tet die Kran­ken­kas­sen müs­sen Pro­gram­me über Bewe­gung, Ernäh­rung und psy­chi­scher Gesund­heit för­dern. In der Regel wer­den bei regel­mä­ßi­ger Teil­nah­me bis zu 80 % der Kos­ten erst­stat­tet. Den Rest über­neh­men meis­tens die Betrie­be. In Groß­be­trie­ben wur­den die­se Kur­se häu­fig in den Betriebs­stät­ten durch­ge­führt. Die Erfah­rung zeig­te aber, dass aus betrieb­li­chen Grün­den die Teil­nah­me­quo­te oft nicht das für die Kos­ten­über­nah­me erfor­der­li­che Mini­mum erreich­te. Daher haben wir ab 2010 bei der Fir­ma Bosch Ther­mo­tech­nik ande­re Wege beschrie­ben, die ich unter “Betrieb­li­ches Gesund­heits­ma­nage­ment” näher erläu­tert habe. Ein Teil davon war das Aktiv­trai­ning, was an die­ser Stel­le The­ma ist, da es sich mit dem The­r­aband (kleins­tes Fit­ness­stu­dio der Welt) über­all durch­füh­ren lässt und für klei­ne bis mitt­le­re Unter­neh­men die idea­le Metho­de darstellt.


1. Arbeitswelt früher und heute

Im frü­he­ren Arbeits­le­ben war die kör­per­li­che Belas­tung eine ande­re. Schwe­re Las­ten muss­ten geho­ben und getra­gen wer­den. Hand­ar­beit mit Pickel, Schau­fel und Hand­sä­gen waren an der Tages­ord­nung. Ergo­no­mie war ein Fremd­wort. Aber: Die Arbeit war viel­fäl­tig und es gab wenig ein­sei­ti­ge Belas­tung. Die Ver­schleiß­erschei­nun­gen betra­fen über­wie­gend die gro­ßen Gelen­ke, betrof­fen war die “Kraft­mus­ku­la­tur”. 

Heu­te gibt es ein Arbeits­schutz­ge­setz, eine Arbeits­stät­ten­ver­ord­nung und DIN Nor­men für die ergo­no­mi­sche Gestal­tung von Arbeits­plät­zen. Las­ten sind gede­ckelt. Das Pro­blem heu­te ist eher die mono­to­ne Belas­tung und der Arbeits­druck, der frü­her in die­ser Form nicht da war. Wäh­rend frü­her eher die “Kraft­mus­ku­la­tur” über­for­dert wur­de ist es heu­te die “Hal­te­mus­ku­la­tur” am Körperstamm.

2. Physiologie und Pathophysiologie

Die Hal­te­mus­keln an den Quer­fort­sät­zen der Wir­bel­kör­per sta­bi­li­sie­ren die Wir­bel­säu­le, machen die Fein­ab­stim­mung und füh­ren klei­ne Bewe­gun­gen (Rota­ti­on, Seit­nei­gung) aus. Die Hals- und obe­re Brust­wir­bel­säu­le ist das Punc­tum fixum bei Bewe­gun­gen im Schul­ter­gür­tel und dem Schul­ter­ge­lenk. Im Gegen­satz zum Becken­gür­tel, der knö­chern geschlos­sen ist und somit für Sta­bi­li­tät in der unte­ren Kör­per­hälf­te sorgt, ist der Schul­ter­gür­tel zwi­schen Schul­ter­blatt und Hals-/Brust­wir­bel­säu­le offen und wird mus­ku­lär geschlos­sen, was eine Dre­hung des Schul­ter­blat­tes ermög­licht und somit die Bewe­gungs­frei­heit im Schul­ter­ge­lenk deut­lich erhöht. Bei Über­kopf­ar­bei­ten oder manu­el­le Arbei­ten ohne auf­ge­leg­te Arme muss die­se Mus­ku­la­tur die Sta­bi­li­tät am Kör­per­stamm leis­ten und ermü­det bei län­ge­rem Gebrauch (> 2–3 Stun­den). Über­mü­dung ist immer mit Ver­kür­zung (Schutz­me­cha­nis­mus der Mus­keln) und Ver­span­nung verbunden. 


Band­schei­ben sind die Druck­pols­ter zwi­schen den Wir­bel­kör­pern und ermög­li­chen — ähn­lich wie bei einer Fahr­rad­ket­te — eine Bewe­gung der sonst knö­cher­nen Wir­bel­säu­le vor­wärts, rück­wärts und seit­wärts sowie eine Rota­ti­on. Band­schei­ben haben kei­ne Blut­ge­fä­ße und ernäh­ren sich durch Dif­fu­si­on mit  Nähr­stof­fen aus der umge­ben­den Flüs­sig­keit. Ermög­licht wird das durch Druck und Sog. Wenn nun durch die Ver­span­nung der Mus­ku­la­tur ein Dau­er­druck auf den Band­schei­ben las­tet kommt es zu Ernäh­rungs­stö­run­gen — ins­be­son­de­re des Faser­rin­ges, der den gal­lert­ar­ti­gen Kern umman­telt. Der Faser­ring reißt lang­sam ein, der gal­lert­ar­ti­ge Kern wölbt sich an die­ser Stel­le vor und man spricht von einer/-m Band­schei­ben­pro­tru­si­on/-pro­laps. Reißt er kom­plett durch kommt es zu einem Mas­sen­vor­fall, der immer eine Akut­in­ter­ven­ti­on erfor­dert, da er auf das Rücken­mark drückt. Bei Vor­wöl­bung im Bereich des seit­li­chen Wir­bel­lo­ches, wo der Rücken­marks­nerv aus­tritt kann es zu einer Kom­pres­si­on kom­men. Bedingt durch die Lage der ein­zel­nen Ner­ven­fa­sern kommt es zunächst zu Schmerz, danach zu Gefühls­stö­run­gen im Bereich des ver­sorg­ten Gebie­tes (Der­matom) und letzt­end­lich dann auch zu Mus­kel­läh­mung, die immer eine sofor­ti­ge chir­ur­gi­sche Inter­ven­ti­on erfor­der­lich machen.


3. Prävention durch Aktivtraining

Ziel einer Prä­ven­ti­on muss es nun sein, die­sen Pathome­cha­nis­mus der Band­schei­ben­de­ge­ne­ra­ti­on zu ver­hin­dern. Das erreicht man, in dem man die betref­fen­de Mus­ku­la­tur dehnt und kräf­tigt. Eine sehr effek­ti­ve Art ist das soge­nann­te Aktiv­trai­ning. Mit einem The­r­aband kann man Übun­gen an fast allen Arbeits­plät­zen (Büro, Pro­duk­ti­ons­hal­len, im Frei­en, unter­wegs beim Auto­fah­ren etc.) durchführen. 

Wir haben bei der Fir­ma Bosch Ther­mo­tech­nik das Aktiv­trai­ning 2014 begon­nen. Dafür enga­gier­te Fit­ness­trai­ner haben vor der Früh­stücks­pau­se 2 x wöchent­lich ein Pro­gramm durch­ge­führt. Nach schlep­pen­dem Anlauf hat­ten wir zum Schluß Teil­neh­mer­quo­ten von 20 % in der Werk­statt und 30 % im Büro­be­reich. Wir haben dar­über einen Moti­va­ti­ons­film gedreht, den ich in mei­nem pri­va­ten You­tube-Kanal hoch­ge­la­den habe. Wei­ter­hin habe ich mit einer unse­rer Trai­ne­rin­nen einen Work­out mit 12 Übun­gen auf­ge­nom­men, der eben­falls in You­tube zu sehen ist. Für inter­es­sier­te gebe ich ger­ne auf Anfra­ge den Link über Email wei­ter. Mein Vor­schlag wäre, dass jeder im Büro­be­reich oder an Arbeits­plät­zen mit mono­to­nen Tätig­kei­ten in Pau­sen die­se Übun­gen durch­führt. Über den Work­out kann man sie erler­nen und danach selb­stän­dig durch­füh­ren. Mög­lich ist auch ein Grup­pen­trai­ning, wo ein “Vor­tur­ner”! die Übun­gen vor­führt. Am Anfang ist die Hemm­schwel­le groß, mit zuneh­men­der Zeit wird es aber immer bes­ser. Man muss nur dran­blei­ben. Ide­al wäre es, wenn jeder an den beschrie­be­nen Arbeits­plät­zen nach 4 Stun­den für ca. 10 min täg­lich 5 — 10 Übun­gen durch­führt. Im Büro ist es rela­tiv ein­fach, in der Pro­duk­ti­on muss man es organisieren.

Mei­ne Visi­on: Am Anfang kom­men die Inter­es­sier­ten, den muss es gefal­len. Die sagen es wei­ter und brin­gen die Unent­schlos­se­nen mit. Zum Schluss sol­len sich die Ableh­ner als Außen­sei­ter fühlen.

Vor­schlag wäre auch, dass das Unter­neh­men Ther­ab­än­der zur Ver­fü­gung stellt, die dann von den Mit­ar­bei­tern genutzt werden.

Aus mei­ner Erfah­rung her­aus kann ich sagen, dass bei kon­se­quen­ter Durch­füh­rung die Metho­de mit wenig Auf­wand einen hohen Wir­kungs­grad hat. Das Pro­blem ist die Hemm­schwel­le und der eige­ne Schweinehund.

Über den Autor

Dr. med. Klaus Merle

Facharzt für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin

Sportmedizin / Reisemedizin / Chirotherapie..

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