von Dr. med. Klaus Merle 

Laienreanimation rettet Leben

Februar 17, 2023 in Arbeitsmedizin

Überblick

Mehr als 70.000 Men­schen jähr­lich erlei­den deutsch­land­weit außer­halb eines Kran­ken­hau­ses einen plötz­li­chen Herz-Kreis­lauf­still­stand. Da der Ret­tungs­dienst durch­schnitt­lich acht bis zehn Minu­ten zur Ein­satz­stel­le benö­tigt, kann man mit einer Herz­druck­mas­sa­ge lebens­ret­ten­de Maß­nah­men ergrei­fen. Die soge­nann­te Lai­en­re­ani­ma­ti­on kann Tau­sen­de von Leben ret­ten – so wie es bei der Fuß­ball-EM Mil­lio­nen von Men­schen live im Fern­se­hen mit­ver­fol­gen konn­ten. In Deutsch­land hel­fen aber noch zu weni­ge. Die vom Deut­schen Reani­ma­ti­ons­re­gis­ter ver­öf­fent­lich­te Lai­en­re­ani­ma­ti­ons­quo­te für 2020 liegt bei unge­fähr 40 %. Vor Beginn der Initia­ti­ve WRAH lag Deutsch­land im Euro­pa­ver­gleich aus­ge­wähl­ter Natio­nen an vor­letz­ter Stelle.


Der Deut­sche Rat für Wie­der­be­le­bung e.V. (Ger­man Resus­ci­ta­ti­on Coun­cil; GRC) und vie­le ande­re bemü­hen sich seit Jah­ren, dass die Men­schen in Sachen Lai­en­re­ani­ma­ti­on moti­viert und trai­niert wer­den. Mit Erfolg! Die Lai­en­re­ani­ma­ti­ons­quo­te lag 2012 zu Beginn der Aus­bil­dungs- und Auf­klä­rungs­ak­ti­vi­tä­ten deutsch­land­weit bei unter 20%. Das Deut­sche Reani­ma­ti­ons­re­gis­ter der DGAI hat die Zah­len für das Jahr 2020 nun bekannt gege­ben. Dem­nach lag 2020 die Lai­en­re­ani­ma­ti­ons­quo­te bei 40,4% — mehr als eine Ver­dop­pe­lung in acht Jahren.

Da eine effi­zi­en­te Beamt­mung durch Lai­en schwie­rig und zeit­auf­wen­dig ist hat man beschlos­sen, dass Lai­en ledig­lich eine effek­ti­ve Herz­druck­mas­sa­ge durch­füh­ren und auf die Beatmung ver­zich­ten. Der durch die Pau­se erzeug­te Druck­ab­fall im Kreis­lauf­sys­tem scha­det mehr als die Beatmung nutzt. Bis 8 min nach Herz­still­stand lau­fen bei­de Kur­ven deckungs­gleich, erst danach wirkt sich eine Beatmung aus. Häu­fig ist dann aber schon der Ret­tungs­dienst vor Ort und kann die Reani­ma­ti­on pro­fes­sio­nell weiterführen.

Die oben auf­ge­führ­te Tabel­le zeigt, dass unge­fähr bei einem Drit­tel die Lai­en­re­ani­ma­ti­on durch­ge­führt wur­de. Der Beginn der Maß­nah­men lag bei Lai­en­re­ani­ma­ti­on bei unter 3 min, ohne Lai­en­re­ani­ma­ti­on bei über 9 min (Ein­tref­fen des Ret­tungs­diens­tes). Ein defi­bril­lier­ba­rer Rhyth­mus nach Lai­en­re­ani­ma­ti­on lag mit 1/3 deut­lich höher als ohne Lai­en­re­ani­ma­ti­on (1/5), was wie­der­um Ein­fluss auf die Über­le­bens­chan­ce hat. Die “30-Tage-lebend ent­las­sen” war mit Lai­en­re­ani­ma­ti­on dop­pelt so hoch als ohne. Das sind Zah­len, die die Wich­tig­keit der Lai­en­re­ani­ma­ti­on deut­lich unterstreichen.


Physiologie der Vitalorgane

Das essen­ti­el­le Ele­ment für das Leben ist der Sau­er­stoff, der bei der Ver­bren­nung von Nähr­stof­fen zur Ener­gie­ge­win­nung (ATP) unbe­dingt erfor­der­lich ist. Unter Vital­or­ga­nen ver­ste­hen wir die Orga­ne, die den Sau­er­stoff aus der Luft in die Kör­per­zel­le trans­por­tie­ren und ohne die Leben nicht funk­tio­niert. Dazu zäh­len Herz, Lun­ge, Blut und Kreis­lauf­sys­tem sowie das Gehirn als Steuerungsorgan. 

Der Sau­er­stoff (21 % Anteil in der Luft) gelangt durch die mus­ku­lär indu­zier­te Brust­korb­ver­grö­ße­rung beim Ein­at­men in die Lun­ge. In den Lun­gen­bläs­chen fin­det durch Dif­fu­si­on anhand eines Kon­zen­tra­ti­ons­ge­fäl­les der Sau­er­stoff­trans­port in die Kapi­lar­ge­fä­ße der Alveo­len statt. Hier wird der Sau­er­stoff an das Hämo­glo­bin als Sau­er­stoff­trä­ger im Blut gebun­den und über das arte­ri­el­le Gefäß­sys­tem wei­ter in jede Kör­per­zel­le trans­por­tiert. Auf dem Rück­weg wird Koh­len­di­oxid als Abfall­pro­dukt der Ver­bren­nung über das venö­se Gefäß­sys­tem in die Lun­ge gebracht und abge­at­met. Als Pum­pe dient das Herz, damit das Blut durch das Gefäß­sys­tem fließt. Über das vege­ta­ti­ve Ner­ven­sys­tem wird stän­dig der Bedarf des Sau­er­stof­fes gemes­sen und das Vital­sys­tem ent­spre­chend ange­passt (Blut­druck, Herz­fre­quenz, Atmungs­ra­te etc.).


Ursachen des Herzstillstandes

Der mecha­ni­sche Herz­still­stand ist das letz­te Ergeb­nis von unter­schied­li­chen Ausgangssituationen:

  • Sau­er­stoff­man­gel durch ver­min­der­te Koro­nar­per­fu­si­on oder ent­zünd­li­che Ver­än­de­run­gen im Herz­mus­kel (Nar­ben­bil­dung) kön­nen patho­lo­gi­sche Herz­rhyth­mus­stö­run­gen aus­lö­sen, die letzt­end­lich ein Kam­mer­flim­mern und somit einen mecha­ni­schen Herz­still­stand her­vor­ru­fen können.
  • Eine Tho­rax­kom­pres­si­on bei Unfäl­len (Auto­un­fall, Absturz etc.) kann zu einer trau­ma­ti­schen Ver­än­de­rung am Her­zen und so zu einem Herz­still­stand führen.
  • Sau­er­stoff­man­gel durch Atem­in­suf­fi­zi­enz (ins­be­son­de­re bei Säug­lin­gen und Klein­kin­dern) kann eben­falls einen Herz­still­stand erzeugen.

Wäh­rend die bei­den letz­ten Zustän­de eher fatal und wenig beein­fluss­bar sind kann man bei rhyth­mus­be­ding­ten Stö­run­gen wie Kam­mer­flim­mern rela­tiv erfolg­reich inter­ve­nie­ren, wenn man recht­zei­tig damit beginnt. Und hier kommt es ent­schei­dend auf den Lai­en­hel­fer an, der den Beginn des Ereig­nis­ses mit­er­lebt und bei ent­spre­chen­den Kennt­nis­sen und Fer­tig­kei­ten Leben ret­ten kann.


CPR (cardiopulmonale Reanimation)

initial

Zunächst wird Bewusst­seins­zu­stand (Anspre­chen, Schmerz­reiz), Atmung (Brust­korb-/Bauch­be­we­gung) und Puls (Hals­schlag­ader) geprüft und bei Nicht-Vor­hands­ein sofort mit der Herz­druck­mas­sa­ge begon­nen, um kei­ne Zeit zu ver­lie­ren. Par­all dazu wählt man die 112 und spricht über Laut­spre­cher mit der Leit­stel­le. Es ist enorm wich­tig, kei­ne Zeit zu ver­lie­ren, da die Pro­gno­se mit zuneh­men­der Zeit schlech­ter wird.


Kriterien der qualitativ hochwertigen Thoraxkompression

  1. Kom­pres­si­ons­fre­quenz: 100 — 120/min
  2. Kom­pres­si­ons­tie­fe: 4 — 5 cm
  3. voll­stän­di­ge Ent­las­tung nach Kompression
  4. Kom­pres­si­ons­pau­sen: < 10 sec
  5. Wech­sel der Hel­fer: alle 2 min

Wich­tig ist wei­ter­hin eine har­te Unter­la­ge, die nicht nach­gibt, damit das Herz zwi­schen Brust­bein und Wir­bel­säu­le zusam­men­ge­drückt wer­den kann. Für die Ergo­no­mie muss der Hel­fer dar­auf ach­ten, dass die Arme im Ellen­bo­gen gestreckt sind und eine Senk­rech­te zur Kör­per­ober­flä­che bil­den. Die Kraft für den Druck kommt dann aus der Rücken­mus­ku­la­tur. Damit wird der Ermü­dungs­fak­tor mög­lichst gering gehal­ten und der Hel­fer kann län­ger effek­tiv reani­mie­ren. Bei gege­be­ner Mög­lich­keit soll der Hel­fer immer nach 2 min gewech­selt wer­den. Dabei bie­tet sich die Rhyth­mus­kon­trol­le an.


Einsatz eines AED (automatischer externer Defibrillator)

Das unte­re Sche­ma zeigt das Sze­na­rio der Lai­en­re­ani­ma­ti­on. Es ist wich­tig, dass die CPR sofort begon­nen, nicht unter­bro­chen und der AED von einer 2. Per­son geholt wird. Sobald der AED vor Ort ist wer­den die PADs ange­legt und eine Rhyth­mus­kon­trol­le durch­ge­führt. Wenn ein defi­bril­lier­ba­rer Rhyth­mus vor­liegt wird sofort ein Schock aus­ge­löst. Bei nicht-defi­bril­lier­ba­rem Rhyth­mus wird die CPR wei­ter­ge­führt und nach 2 min erneut kon­trol­liert. Die­ser Rhyth­mus wird solan­ge fort­ge­führt, bis ent­we­der der Ret­tungs­dienst über­nimmt oder schon vor­her eine sta­bi­le Kreis­lauf­si­tua­ti­on nach erfolg­rei­cer Defi­bril­la­ti­on vorliegt. 


Motivation und Training

Ein­gangs habe ich beschrie­ben, wel­che Bedeu­tung die Lai­en­re­ani­ma­ti­on für eine voll­stän­di­ge Gene­sung nach einem Herz­still­stand hat. Auch zei­gen die Zah­len, dass wir bei der Bereit­schaft der Men­schen für die Lai­en­re­ani­ma­ti­on noch viel Luft nach oben haben. Hin­der­nis ist häu­fig die Befürch­tung, etwas falsch zu machen und die Berüh­rungs­angst beim Auf­fin­den eines leb­lo­sen Men­schen. Bei­des gilt es zu über­win­den und nach Mög­lich­kei­ten zu suchen, die Men­schen erken­nen zu las­sen, wie wich­tig ein Ein­satz für das Über­le­ben eines Betrof­fe­nen ist und damit für ein Trai­ning zu moti­vie­ren. Jeder kann selbst der Nächs­te sein. Wenn man nun nach Mög­lich­kei­ten sucht, dann bie­tet sich der betrieb­li­che All­tag regel­recht an. Nir­gend­wo kann ich Men­schen in brei­ter Mas­se bes­ser anspre­chen und nir­gend­wo lässt es sich bes­ser umset­zen. Des­halb geht eine gro­ße Bit­te an die Unter­neh­mens­ver­ant­wort­li­chen, Ange­bo­te von Betriebs­ärz­ten ernst zu neh­men und bei der Umset­zung zu unterstützen. 

Über den Autor

Dr. med. Klaus Merle

Facharzt für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin

Sportmedizin / Reisemedizin / Chirotherapie..

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