
Im Juni 2001 war ich zu einer reisemedizinischen Weiterbildung beim Forum Reisemedizin in München. In einer Pause fand ich beim Herumstöbern in den Auslagen einen Flyer, wo Werner Kalbfleisch aus Staig als Konzessionär für das Bordhospital der MS Astoria Ärzte suchte. 20 Jahre Medizin von der Stange, da braucht es auch mal was anderes. Das war mein erster Gedanke und der Schritt zur Bewerbung. Nachdem ich mich im November 2001 bei Werner vorgestellt hatte war ich dabei. Aufgrund der Verzögerung der Zusage meiner Berufshaftpflicht konnte ich 2002 keine Einsätze mehr bekommen. Im März 2003 war es dann soweit. In Venedig begann meine erste Tour. Es gab eine grobe Einweisung und ich fand mich “im kalten Wasser” wieder. Sechs Wochen durch das östliche und westliche Mittelmeer mit vielen kleinen und auch größeren Problemen. Aber mit dem normalen medizinischen Menschenverstand und der Hilfe vieler lieber Menschen an Bord habe ich alles geschafft und jeden Tag dazu gelernt. Man muss auch dazu sagen, dass die damaligen Regularien nicht so streng wie heute waren. Unter der Flagge der Bahamas mit Heimathafen Nassau war das möglich. Meine Frau war anfangs dagegen und als ich am 09.05.2003 abends um 23 Uhr nach Hause kam war ihre erste Rede: “Das war´s jetzt aber”. “Ja” habe ich gesagt und wusste nicht, was ich da versprochen hatte. Es hat nur 4 Wochen gedauert. Nachdem ich im Fernsehen eine Dokumentation über die Kreuzschifffahrt gesehen hatte habe ich Werner angerufen und 2 Minuten später hatte ich eine Tour 2004 zum Nordkap und der Ostsee ausgemacht. Nun hatte ich ein Problem. Ohne meine Frau wollte ich auf keinen Fall wieder fahren. Da blieb nur noch ein Trick: Zu Weihnachten habe ich ihr 14 Tage Nordreise mit Island, Spitzbergen, Nordkap und norwegische Fjorde geschenkt. Sie hatte in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Schiffsreisen gemacht und brauchte daher fast 6 Wochen, bis sie sich entschieden hatte. Am 11.06.2004 sind wir in Bremerhaven eingestiegen. Nach anderthalb Tagen Seekrankheit, Vomex und viel Schlafen hatte sie bei unserer ersten Station in Kirkwall das Trauma überwunden. Begeisterung wie bei mir war eingetreten und am vorletzten Abend auf dem Crewdeck sagte sie. “Weißt du was, das machen wir nochmal”. So sind wir dabeigeblieben und haben in dieser Zeit unvergessliche Dinge erlebt. Das Gesetz der Seefahrt ist: Man hasst es oder man ist davon fasziniert, dazwischen gibt es nichts. 2012 wurde die MS Astor verkauft und Werner hat die Konzession zurückgegeben. Nach zwei Jahren habe ich mich bei TUI Cruises beworben und fahre seit dieser Zeit als Schiffsarzt auf der “Mein Schiff”-Flotte. Aufgrund der amerikanischen Reederei (Royal Caribbean) gibt es deutlich strengere Regularien und klare Vorgaben für den Schiffsarzt. Davon und vielen anderen schönen Dingen habe ich in den letzten Jahren berichtet.
Nach meiner letzten Reise vom 15.11.2024 bis zum 16.01.2025 nach Afrika und Asien habe ich mich entschieden, meine Einsätze als Schiffsarzt auf einem Kreuzfahrtschiff zu beenden. Ungefähr 30 Monaten habe ich — und zum größten Teil zusammen mit meiner Frau — auf See verbracht. Das dienstliche Highlight habe ich auf meiner letzten Reise erlebt. An einem Abend nach unserer Sprechstunde auf dem Weg zum Abendessen erreichte uns ein Starcode. Ein Gast war im Rezeptionsbereich umgefallen. Als wir am Notfallort erschienen hatte ein anderer Gast (polnischer Arzt) schon mit der Throaxkompression begonnen. Wir führten die CPR weiter fort. Einen Zugang konnten wir nur mittels Knochenbohrung bekommen. Mit Unterstützung durch einen Guedeltubus führten wir eine Maskenbeatmung mit Sauertoffzufuhr durch. Nachdem die Pads vom AED angelegt waren konnten wir bei der Rhythmuskontrolle ein Kammerflimmern feststellen. Mit dem ersten Schock hatten wir einen geordneten Rhythmus (Vorhofflimmern) mit einer Frequenz von ca. 130 Schlägen pro Minute. Ein peripherer Puls war noch nicht tastbar. Wir führten die Thoraxkompression und die Beatmung weiter fort. Ungefähr nach einer weiteren Minute fing der Patient mit tiefen Atemzügen an zu atmen und wehrte sich gegen den Tubus. Mit Narkotikum und Schmerzmittel zur Dämpfung der Abwehrreflexe atmete der Patient selbständig weiter. Wir transportierten ihn in unsere ICU im Hospital. Dort konnten wir den Guedeltubus durch einen oropharyngealen Tubus ersetzten. Nach ungefähr weiteren 15 min ließ die Wirkung des Narkotikums nach und der Patient wurde wach. Er hatte keinerlei cerebralen Ausfälle und lediglich eine Erinnerungslücke an die Zeit nach dem Vorfall. Er konnte sich erinnern, dass er mit starken präkordialen Throaxschmerzen bewusstlos wurde. Wir haben ihn über die Nacht hinweg auf der ICU betreut. Am nächsten Morgen hatte er einen Sinusrhythmus und konnte mit dem Tenderboot in Koh Samui einer Ambulanz übergeben werden. Wir konnten ihm sein Leben retten und darauf waren wir alle sehr stolz. Die frühzeitige Intervention war der Schlüssel zum Erfolg. Zuhause wäre er wahrscheinlich gestorben, da viele Voraussetzungen für eine solche Aktion fehlen. Aufgrund der Lage des Notfallortes im Schiff (offener Bereich über drei Decks) und der Neugierigkeit vieler Menschen konnten geschätzt mehr als 100 Gäste unserer Aktion beiwohnen und Zeuge werden. Es war für uns alle das erste Mal, dass innerhalb so kurzer Zeit nach dem ROSC ein Patient wieder wach wurde. Als Arbeitsmediziner versuche ich seit Jahren, Kurse für die Laienreanimation in den Betrieben (Ersthelfer; Laienreanimation) zu etablieren — eher weniger erfolgreich. Dieses Erlebnis bestätigt meine Überzeugung, dass ein solcher Patient mit dieser Ausgangslage nur eine Chance hat, wenn man frühzeitig mit der Thoraxkompression beginnt und einen AED einsetzt. Bis zum Zeitpunkt des ROSC haben wir nur Thoraxkompression und Maskenbeatmung durchgeführt und den AED eingesetzt. Die Beatmung ist in diesem Zeitraum nicht essentiell und der Rest war analog zur Laienreanimation.
Neben diesem dienstlichen Highlight gab es natürlich auch viele schöne Orte auf dieser Welt, die wir besuchen konnten. Wir erinnern uns sehr gerne an unsere erste gemeinsame Reise, wo wir in Svalbard mit der Astoria in wunderschöne Fjorde gefahren sind. Im Liliehoekfjord hat uns Kapitän Ivan Shramko bis auf 40 m an die Gletscher herangefahren. Im Tempelfjord haben wir bei herrlichem Wetter die Seehunde auf den Eisschollen beobachtet. In Ny Alesund haben wir uns im nördlichsten Postamt der Welt einen Poststempel geholt. Im Magdalenenfjord sind wir auf eine kleine Insel getendert, haben die nördlichste Poolbar der Welt aufgebaut und abends unsere Getränke mit Gletschereis gekühlt. Auf all diesen Reisen haben wir einen großen Rucksack mit vielen Geschichten gesammelt — Geschichten, die uns heute noch herzhaft lachen lassen, aber auch Geschichten, die uns nachdenklich machen und ein bisschen traurig werden lassen. Über allem aber steht das Leben als Teil der Crew. Es arbeiten hier Menschen aus aller Welt. Viele davon sind fast 10 Monate am Stück an Bord — weit weg von zuhause. Häufig sehen sie ihre Kinder nur über Videos groß werden. Von ihnen haben wir gelernt, wie man trotz unterschiedlicher Nationalität und Kultur, unterschiedlicher Hautfarbe und unterschiedlichen Neigungen friedlich und mit viel Freude unter einem Dach leben kann. Von ihnen haben wir gelernt, wie man respektvoll, freundlich und stets hilfsbereit miteinander umgehen kann. Und von Ihnen haben wir gelernt, wie wenig man braucht, um glücklich und zufrieden zu sein. Es war mir stets ein Vergnügen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich bin stolz darauf, Teil dieser Gemeinschaft gewesen zu sein. Ich werde sie vermissen und oft an sie denken.
Arbeit und Vergnügen




Die Bilder in der folgenden Galerie zeigen viele Reiseziele, die wir besucht haben.
Neben all den schönen Erlebnissen ragt ein Ereignis deutlich heraus — unsere kirchliche Hochzeit auf See am 31.10.2012 auf der Astor. Klein, aber fein. So wie wir es uns immer gewünscht haben.

Es ist ein schönes Bespiel dafür, wie auf dem Schiff einer für den anderen da ist. Hotelmanager, Kreuzfahrtleiterin, Bordpfarrer, Küchenchef, Fotografin, Pianistin, Housekeeping — alle haben sie ihren Teil dazu beigetragen, dass es für uns ein unvergessliches Erlebnis wird und immer in unserer Erinnerung bleibt.